Zwischen Apfelernte und Übungssystem: Die Leipziger Journalismus-Ausbildung in der DDR

Von Bundesarchiv, Bild 183-1982-0905-103 / Grubitzsch (geb. Raphael), Waltraud / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5664992

Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1982-0905-103 / Grubitzsch (geb. Raphael), Waltraud
CC-BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5664992

Parteijournalismus, SED, Agitation und Propaganda. Auf dem Journalistik-Studium in zu DDR-Zeiten klebt nach wie vor das Etikett „Rotes Kloster“. Doch abseits von Mauer und Stasi gab es auch einen studentischen Alltag und eine journalistische Handwerksausbildung, die die damaligen Studierenden bis heute prägt. Die Perspektive dreier Alumni, wie sie sie auf der Online-Veranstaltung „Erzählen Sie mehr…“ über die Leipziger Journalistik in den 80er Jahren“ des Netzwerks Journalismus am 5. Juli 2022 dargelegt haben.

Montagmorgen. 7:30 Uhr. Frühschicht. Vorlesungsbeginn für das erste und zweite Jahr der Studierenden der Sektion Journalistik. Kerstin Decker (immatrikuliert 1981) erinnert sich heute noch an den Weg vom Wohnheim in der Johannes-R.-Becher-Straße in Lößnig über den Karl-Marx-Platz (heute Augustusplatz) zum Uni-Hochhaus, wo die meisten Veranstaltungen stattfanden. Erst im dritten und vierten Studienjahr startete die Uni ab 14:30 Uhr.

Jedes Semester war geprägt von einem sogenannten Übungssystem. Nachrichten schreiben, Berichte verfassen und Interviews führen standen auf der Tagesordnung. Laut den Alumni war das Journalistik-Studium vor allem durch seine sehr gute methodische Ausbildung gekennzeichnet: „Wir wurden gequält damit, für jeden Artikel am Anfang Thema und Absicht zu formulieren. Es fiel mir damals schwer, aber es ist das Wesen dessen, was man können sollte“, so die heutige LVZ-Redakteurin Decker.

Doch bevor es mit dem vierjährigen Studium so richtig los ging, stand die Apfelernte im sogenannten nullten Studentensommer auf dem Programm. Auch zwischen den Studienjahren verbrachten die angehenden Journalist:innen die Sommer mal in verschiedenen Lagern, mal auf der Baustelle oder auf dem Feld in Bulgarien. Im Nachhinein kann Karin Wenk (immatrikuliert 1978) über die Sommer lachen. „Aber es war auch alles sehr anstrengend und herausfordernd“, erinnert sie sich. Mit Journalismus hatte diese Zeit jedoch wenig zu tun.

Neben der journalistischen Ausbildung spielte vor allem die militärische Komponente eine große Rolle. „Schon bei der Aufnahmeprüfung wurde bereits eine kleine vormilitärische Ausbildung abgezogen mit 3000-Meter-Lauf, Luftgewehrschießen und Handgranatenweitwurf“, erzählt Uwe Krauß (immatrikuliert 1981). Hinzu kamen im weiteren Verlauf des Studiums militärische Wettkämpfe und Lager sowie die festen Fächer Militärpolitik und Geheimnisschutz.

In den Erinnerungen der drei Alumni hat nicht nur die militärische, sondern politische Ausrichtung des Studiums Spuren hinterlassen. „Die politische Ausrichtung war heftig“, sagt Karin Wenk und denkt neben der marxistisch-leninistischen Prägung und politisch aufgeladenen Journalismus-Veranstaltungen auch an klare Entscheidungspositionen in parteinahen Redaktionen. Es war eindeutig geregelt, was wie veröffentlicht werden sollte. Für die jungen Studierenden war dies laut Wenk damals aber nicht sofort spürbar.

Auf die Frage, warum sie überhaupt Journalismus machen wollten in einem Land, in dem es keine Pressefreiheit gab, antwortet Kerstin Decker bestimmt: „Ich habe es verdrängt. Ich wollte Reportagen schreiben und keine politischen Recherchen machen. Es gab nur diesen einen Weg, Journalistin zu werden.“ Auch für Karin Wenk stellte sich die Frage so nicht. Sie wollte einfach Journalistin werden.

Studieren durfte aber nicht jeder. Die angehenden Journalist:innen mussten ein aufwändiges Auswahlverfahren durchlaufen. Ein Merkmal, das bis heute geblieben ist. Anders als es vermuten lässt, spielte es in der Bewerbung jedoch keine Rolle, ob man Parteimitglied war oder nicht. „Ich kam nicht als SED-Mitglied nach Leipzig“, berichtet Uwe Kraus, „aber ich ging als eines.“ Er erinnert sich weiterhin an Gespräche, die mit Parteilosen an der Uni und im Entsendebetrieb geführt wurden. Dass da Druck ausgeübt wurde, möchte Kraus so nicht sagen. „Aber es wurde schon deutlich gemacht, dass die Arbeiterklasse dein Studium bezahlt und du doch auch etwas zurückgegeben sollst.“

Neben all dem bleiben den drei Alumni aber vor allem das erlernte journalistisches Handwerk, die Gemeinschaft und das Netzwerk, das sie über die vier Jahre geknüpft haben, sowie legendäre Abende in der Moritzbastei in Erinnerung.

Lena Eggert

veröffentlicht am 23.08.2022