Hauptpreis Studium

Team „Im Namen des Volkes”

Marvin Neubauer, Max Stange, Charlott Resske, Frederik Doktor

„Was uns der Preis bedeutet …”

„Wie gelingt die repräsentative Demokratie – und was bedeutet überhaupt ‚Repräsentation’? Dem wollten wir aus Anlass der vielschichtigen Demokratiekrise mit der interdisziplinären Tagung ‚Im Namen des Volkes’ nachgehen. Über die Würdigung dieser Initiative freuen wir uns sehr! Daneben schätzen wir die Erfahrung, schon im Studium eine wissenschaftliche Tagung durchgeführt zu haben. Mit der großartigen Unterstützung einiger Universitätsmitarbeiter:innen und -einrichtungen konnten wir zeigen, dass studentisch-wissenschaftliche Projekte funktionieren können. Vielleicht kann das als Anstoß genommen werden, studentische Forschungsinitiativen in Zukunft auch regulär zu beachten und zu fördern: institutionell, finanziell sowie auch von Seiten der etablierten Forschungsgemeinschaft.” – Team „Im Namen des Volkes“

Kurzlaudatio

„Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass das von mir nominierte Projekt Im Namen des Volkes – Zur Kritik politischer Repräsentation von Marvin Neubauer, Max Stange, Charlott Resske und Frederik Doktor mit dem Preis der Universität Leipzig für besonderes Engagement im Studium ausgezeichnet wurde. Ich versuche kurz, den Grund dieser Freude und damit der Nominierung zu skizzieren.

Den Geehrten ging es um die Behandlung einer für unser staatlich verfasstes Zusammenleben äußerst bedeutsamen Frage: Auf welche Weise vollzieht sich die so genannte Herrschaft des Volkes in einer Demokratie? Oder, anders formuliert: Was bedeutet es, legitimerweise im Namen des Volkes zu sprechen und zu handeln? 

Die zentrale These lautet: Wer im Namen des Volkes spricht, beansprucht für sich, das allgemeine Interesse des Gemeinwesens insgesamt, also der res publica, der öffentlichen Angelegenheiten, zu repräsentieren und eben dadurch den allgemeinen Willen, Rousseaus volonté générale, einer politischen Gemeinschaft zu artikulieren. Um mit dem Klappentext des aus der Tagung entstandenen Buches von Marvin Neubauer, Max Stange, Charlott Resske, Frederik Doktor (Hrsg.): Im Namen des Volkes. Zur Kritik politischer Repräsentation. Tübingen: Mohr Siebeck 2021 (330 S.) zu sprechen: Repräsentation ist die Form des Politischen.

Nun kommt es aber auf die Frage an, wer den Anspruch der Vertretung oder Repräsentation unter welchen Umständen, mit welchen Gründen und in Erfüllung welcher Bedingungen überhaupt erheben darf. Wann und wie gilt das für Richter und Gerichte, für das Parlament, für die Regierung und für die Administration, oder dann auch für politische (Massen-)Bewegungen? Die letztere Frage stellt sich gerade in Leipzig, angesichts des hier historisch gleich zweimal in Anspruch genommenen Proklamation Wir sind das Volk! Die Leitfrage war und ist daher ganz offenbar höchst aktuell und für unser Selbstverständnis in einem demokratischen Staat und einer offenen Gesellschaft höchst relevant: Wer darf und kann für uns oder für ein anderes Volk sprechen, urteilen und politisch handeln? Was kann politische Repräsentation und damit auch Demokratie sinnvollerweise heißen? Welche abstrakten, also nur einseitigen und daher irreführenden Auffassungen dieser Zentralbegriffe und Grundformen eines demokratischen Gemeinwesens lassen sich aufdecken und wie wären sie zu korrigieren? 

Was sichert dabei den inneren Frieden einer repräsentativen Demokratie, wenn politische Konflikte z.B. zwischen Linken und Rechten, wie man seit der Sitzordnung der französischen Nationalversammlung zu Zeiten der Revolution bis heute, und dabei immer vergröbernd, sagt, die Form eines Konflikts oder gar eines Dauerstreits um die ‚wahre‘ Vertretung von Volk und Allgemeininteresse annehmen? Zur Behandlung dieser Fragen ist es den vier Studierenden gelungen, viele wichtige und für die Debatte prägende Stimmen, speziell der deutschen Repräsentationsforschung, in einer Tagung und einem Band zu versammeln – und dabei doch auch jungen, vielversprechenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Platz und Gehör zu verschaffen. 

Mit außergewöhnlichem und ausdauerndem Engagement organisierten die vier Studierenden dazu die interdisziplinäre Tagung im Herbst 2018 an der Universität Leipzig. Ihre Ergebnisse wurden im Frühjahr vergangenen Jahres beim renommierten Verlag Mohr Siebeck veröffentlicht, womit das Projekt der Gruppe einen würdigen Abschluss gefunden hat. 

Tagung und Buch sind auf ungewöhnliche Weise interdisziplinär. Die Tagung richtete sich an ein breites Publikum und zog zahlreiche Besucherinnen und Besucher verschiedenster akademischer Grade und Fachrichtungen an. Dies bescherte nicht nur rege Diskussionen vor Ort, sondern motivierte auch einen nachhaltigen Austausch der verschiedenen Beteiligten. Mit ihrer Initiative haben die vier Geehrten einen wichtigen Beitrag zu einer anhaltend aktuellen Forschungsdebatte von fachübergreifender Relevanz geleistet.

Die vier jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben dazu auf vorbildliche Weise gezeigt, wie gerade auch studentische Eigeninitiative zu fruchtbarer Forschung beitragen kann – nicht zuletzt auch dank der vielfältigen Zusammenarbeit mit verschiedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Universität Leipzig und der ihr zugeordneten Institutionen. Hier ist insbesondere die Research Academy Leipzig zu nennen, deren damaliger Leiter Prof. Rudolf Rübsamen die Räume der Villa Tillmanns zur Verfügung gestellt und dann auch selbst an der Konferenz teilgenommen hatte. Unbedingt zu erwähnen sind an dieser Stelle auch meine Kollegen Prof. Michael Kahlo, der die Tagung von Anfang an begleitet hat, Prof. James Conant, der das Projekt finanziell unterstützte, und Prof. Oliver Lembcke, der die Publikation des anschließenden Sammelbands allererst ermöglichte und dann auch im Detail sehr beförderte. Die vier Geehrten durften außerdem von der Hilfe der Kolleginnen und Kollegen Dr. Rebecca Gersbach, Dr. Verena Frick, Dr. Anna Mrozek, Dr. Anja Schmidt, Dr. Marc André Wiegand profitieren, die ihnen in verschiedenen Phasen des Projekts mit klugem Rat zur Seite standen.

Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle die interdisziplinäre Vernetzungsleistung der studentischen Initiative, deren Mitglieder selbst aus verschiedenen Fachbereichen stammen – aus Rechtswissenschaft, Philosophie, Kulturwissenschaften und Geschichte. Sie haben offenbar bereits in der Themenfindung die nicht unerhebliche Anstrengung unternommen, ihr Thema in einer fachübergreifenden Sprache so einzukreisen, dass es von verschiedenen Richtungen her zugänglich blieb, und das mit erstaunlichem Tiefgang. Von seiner Entwicklung bis hin zu seinem Abschluss in Form eines umfassenden Buches zum Thema stellt das Projekt ein gelungenes Beispiel fach- und statusübergreifender Wissenschaftsorganisation dar. 

Ich möchte zu guter Letzt Marvin Neubauer, Max Stange, Charlott Resske und Frederik Doktor sehr herzlich gratulieren und wünsche Ihnen alles Gute!”

Prof. Dr. Pirmin Stekeler-Weithofer
Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie – Theoretische Philosophie